Mehr gemeinnützige Gewebespende, mehr Unterstützung in der Forschung!

Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther im DGFG-Interview.

Knochentransplantationen stellen eine wichtige Therapie in z. B. der Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Nach Schätzungen von Chirurgen werden über 30.000 Transplantationen von knöchernem Gewebe pro Jahr in Deutschland durchgeführt. Der Bedarf wird weitaus höher eingeschätzt. Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther, geschäftsführender Direktor des UniversitätsCentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, zu Fragen rund um Knochenspende und -transplantation in Deutschland.

Welche Bedeutung hat die Knochentransplantation in der heutigen Medizin?

Die Knochentransplantation hat eine sehr große Bedeutung. Historisch gesehen war es so, dass die Spende von Knochen überwiegend auf der Eigenspende basierte, d. h. Patienten wurde z. B. am eigenen Beckenkamm Knochen entnommen, um diesen an anderer Stelle des Körpers zu verpflanzen. Auch wenn dieses Verfahren biologisch sehr wertvoll ist, da es sich um einen hochwertigen lebendigen und körpereigenen Knochen handelt, ist es mit Nachteilen behaftet: Die Entnahme kann mit Schmerzen und Komplikationen wie Nachblutungen und anderen Problemen verbunden sein. Deshalb hat sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr die allogene Knochenspende als guter Standard und Alternative zu natürlichen oder synthetischen Knochenersatzstoffen sowie Implantaten etabliert. Die allogene Knochenspende wird heute bei vielen Indikationen in einem größeren Umfang als die autogene Knochenspende eingesetzt.

Bei welchen Erkrankungen kommen Knochentransplantationen zum Einsatz?

Hauptindikationen sind große, knöcherne Defekte im Rahmen von z. B. Wiederholungseingriffen bei künstlichen Gelenken aufgrund einer Lockerung. Darüber hinaus kommen Knochentransplantationen bei der Behandlung von (überwiegend) gutartigen Knochentumoren zum Einsatz. Andere Bereiche sind die Wirbelsäulenchirurgie, um die Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten mit körpereigenen Knochen zu unterstützen. Auch in der Unfallchirurgie, wo Knochendefekte durch Verletzungen entstehen, kommen Knochentransplantationen zum Einsatz. Der Goldstandard ist der autogene, der körpereigene Knochen, den man von einer Stelle auf eine andere Stelle verpflanzt. Das biologisch nächstbeste Verfahren ist die Transplantation eines allogenen Knochens, der von einem anderen Menschen gewonnen wurde. Dies kann entweder im Rahmen von künstlichen Gelenkersatzoperationen geschehen, wo die gewonnen Hüftköpfe speziell behandelt, desinfiziert und konserviert und meist in klinikeigenen Knochenbanken gelagert werden, um sie später für andere Patienten nutzen zu können. Ein zweites Verfahren ist die Gewebespende, bei der man i.d.R. von Verstorbenen die Knochen entnimmt, diese prozessiert und zur Transplantation vermittelt. Darüber hinaus gibt es Knochentransplantate nicht menschlichen Ursprungs bspw. vom Rind, Schwein oder Pferd. Diese tierischen Knochentransplantate sind in den letzten Jahren aufgrund der Übertragbarkeit von bestimmten Krankheitserregern und eines gewissen Gefahrenpotenzials deutlich weniger geworden. Ein weiterer größerer Bereich ist die Entwicklung von Knochenersatzstoffen aus der Natur, wo z. B. korallenartige Substanzen vorkommen, oder durch synthetische Prozesse, wo knochenähnliche Konstrukte oder Implantate auf z. B. Kalksalzen oder Calciumphosphaten basieren.

In welchen Formen kommen Knochentransplantate zum Einsatz?

Die Zubereitungs- und Transplantatformen reichen von sehr kleinen Chips im Millimeterbereich, die man sich als eine Ansammlung von kleinen, losen Kügelchen oder Gewebepartikeln vorstellen kann, bis hin zu ganzen Knochenanteilen. Nach wie vor werden ganze Knochen oder Knochenabschnitte z. B. nach großen Defekten von langen Röhrenknochen am Ober- oder Unterschenkel verpflanzt, wenn es darum geht, zehn oder 15 Zentimeter oder gar Gelenke überbrücken zu müssen. Dort kommen dann Schienungsverfahren zum Einsatz oder es werden Verplattungen an den vorhandenen Knochen befestigt, um längerstreckige Defekte zu füllen. Diese Verfahren haben allerdings dadurch, dass dieser Knochen bei der Verpflanzung tot ist, den Nachteil, dass diese einige Jahre halten und nach einer gewissen zeitlichen Dauer versagen. Liegt ein kleinerer Defekt z. B. im Rahmen der Gelenkersatzchirurgie, der Revisionsendoprothetik vor und ist ein vollständiger Umbau des Knochens angestrebt, kann ein kleines Knochentransplantat vollständig umgebaut werden und wird zu körpereigenem Knochen. Diese massiven Allografts, wo ganze Röhrenknochen ersetzt werden, können nicht körpereigen werden. Sie bleiben tot und haben damit automatisch eine begrenzte Lebensdauer. Der Körper ist nur in der Lage, ein bestimmtes Volumen an Knochentransplantat umzubauen und wieder zu beleben.

Wie viele Knochentransplantationen werden jährlich durchgeführt?

Das hängt davon ab, was für eine Logistik man zur Verfügung hat. Wir führen z. B. im Jahr zwischen 100 bis 200 solcher Transplantationen durch, weil wir eine eigene Knochenbank hier in Dresden im Universitätsklinikum haben. Wir nutzen die Hüftköpfe von Lebendspendern, die im Rahmen der endoprothetischen Versorgung gewonnen werden. Andere Kliniken, die das nicht haben, nutzen das unter Umständen etwas weniger.

Welchen Stellenwert schreiben Sie der Gewebespende, insbesondere der Spende von Knochen, in diesem Zusammenhang zu?

Zur Versorgung der Patienten mit Gewebetransplantaten gibt es die klinikeigenen Knochenbanken, die Versorgung über Organisationen wie der DGFG, die im großen Stil die Gewebespende organisiert, oder über den Bereich, wo Knochenersatzstoffe künstlich hergestellt werden. Die Versorgung ist natürlich auch abhängig von den persönlichen Vorlieben der jeweiligen Ärzte und Chirurgen. Ich persönlich sehe im Moment keinen Knochenersatzstoff, der ähnlich gutes biologisches Potenzial hat wie humaner Knochen. Deshalb sehe ich persönlich für die Gewebespende ein hohes Potenzial und einen relativ guten Einsatzbereich. Das wird aber möglicherweise nicht von allen Operateuren so geteilt. Der Vorteil von den synthetischen Ersatzstoffen ist, dass sie generell verfügbar sind. Nachteil ist aus meiner Sicht, dass die ihnen häufig zugeschriebenen Eigenschaften des biologischen Umbaus und Einbaus in den Körper nicht so häufig vorkommen wie sie propagiert werden. Für mich persönlich ist der richtige Einsatz einer guten Knochenspende heute biologisch attraktiver als die Anwendung von Knochenersatzstoffen.

Wie bewerten Sie die Entwicklung im gemeinnützigen Netzwerk der DGFG?

Ich sehe die Entwicklung der DGFG sehr positiv, weil sie erstens eine Verfügbarkeit von Knochen auch in Kliniken sicherstellen kann, die keine eigene Knochenbank haben. Weil sie zweitens als gemeinnützige Organisation ein interessantes Preisangebot für den Vertrieb von Knochen bieten kann, was bei den deutlich teureren Knochenersatzstoffen häufig nicht der Fall ist. Drittens sehe ich bei einer gemeinnützigen Organisation wie der DGFG die Möglichkeit, Knochen auch für wissenschaftliche Projekte zur Verfügung zu stellen, was bei kommerziell verfügbaren Knochenspenden oder Knochenersatzstoffen nur bedingt oder gar nicht der Fall ist.

Wo verorten Sie die Knochenspende, -prozessierung und –vermittlung heute und auch in Zukunft in der Medizin in Deutschland?

Das ist eine schwierige Frage. Derzeit gibt es noch zu wenig Angebote an gemeinnütziger Gewebespende im Knochenbereich. Es gibt einige Einrichtungen, die das kommerziell anbieten. Und es gibt viele Anbieter im synthetischen Knochenersatzstoffbereich. Da ich persönlich eine höhere Affinität zu Knochentransplantationen und -spende habe, würde ich mir eine höhere Verfügbarkeit für mehr Kliniken in einem größeren Rahmen wünschen, als es heute der Fall ist. Ich würde mir wünschen, dass mit einer gemeinnützigen Organisation wie der DGFG ein größerer Bedarf abzudecken ist. Die Gewebespende dient dem Solidaritätsprinzip. Das ist aus meiner Sicht grundsätzlich sehr zu unterstützen. Ob es in Anbetracht der geringen Spendebereitschaft realisierbar ist, ist eine ganz andere Frage.

Wie bewerten Sie den Aspekt der experimentellen Forschung mit Knochen zur Verbesserung der Patientenversorgung?

Gerade im Bereich der Füllung größerer Knochendefekte halte ich es für sehr attraktiv, Wege zu untersuchen und darüber nachzudenken, wie man den Umbauvorgang dieses Knochens unterstützen kann. Der zweite große Block betrifft das, was Herr Prof. Krettek verfolgt: die Verpflanzung von Knochen in Kombination mit Knorpel, also Gelenkflächenanteile oder ganze Gelenkflächen. Ich halte das für eine spannende Alternative zum künstlichen Gelenkersatz.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Bereich Knochenspende und –transplantation?

Ich sehe für die Knochenspende auch in Zukunft einen steigenden Bedarf. Mit einer zunehmenden demografischen Veränderung und einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung wird die Zahl der Patienten, deren eigenes biologisches Potenzial für die Regeneration von Gewebe limitiert ist, zunehmen. Es werden immer mehr Situationen entstehen, wo Defekte mit Knochentransplantaten zu füllen sind. Das kommt zwangsläufig mit zunehmender Versorgung von Knochenbrüchen oder degenerativen Gelenkerkrankungen im Alter auf uns zu. Deswegen erwarte ich auch einen steigenden Bedarf an Gewebespenden in Zukunft im Knochenbereich. Ich persönlich wünsche mir eine bessere grundsätzliche Verfügbarkeit von Knochentransplantaten und darüber hinaus, dass die gemeinnützige Gewebespende in einem größeren Rahmen für Kliniken, die keine eigene Knochenbank zur Verfügung haben, verfügbar ist. Als drittes wünsche ich mir durch gerade die gemeinnützige Institution Unterstützung in der Anwendung von Forschungsprojekten und der Vernetzung von Wissenschaftlern im Bereich der Knochentransplantatforschung. Da ist noch eine ganze Menge Arbeit zu leisten. Das geht nicht ohne Unterstützung durch bspw. der DGFG.

Das Interview wurde Ende April in Dresden geführt.