Online-Register gefährdet Versorgung mit Geweben

DGFG appelliert an Gesetzgeber, Gewebespende in Gesetzesreform der etablierten Praxis angemessen zu berücksichtigen.

Ein offener Brief von Deutschlands größter Gewebespendeeinrichtung zum neuen Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende

Am 1. März 2022 trat das neue Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende in Kraft mit dem Ziel, die Situation in der Organspende zu verbessern und letztlich dem Mangel an Transplantaten entgegenzuwirken. Mit eingeschlossen ist dabei auch die Gewebespende, auch wenn der Name dieser Gesetzesreform dies nicht verlauten mag. Das mit dem Gesetz verbundene Online-Register, welches das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte derweil einrichtet, gilt sowohl für die Dokumentation der Entscheidung zur Organspende als auch zur Gewebespende. Das Bundesinstitut verteilt für den Zugriff auf dieses Register sogenannte Verordnungsermächtigungen an ausgewählte Personen, um im Einzelfall die Entscheidung des potentiellen Spenders bzw. der potentiellen Spenderin zu überprüfen. Dabei völlig außer Acht gelassen und im Gesetz nicht mit berücksichtigt sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen. Ändert sich an dem bereits in Kraft getretenen Gesetz bis zum Registerstart nichts mehr, besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl an Gewebespenden nicht mehr realisiert werden kann und sich damit die Patientenversorgung mit Gewebetransplantaten in Deutschland erheblich verschlechtert.

Mitarbeitende von Gewebespendeeinrichtungen als auskunftsberechtigte Personen im Gesetz nicht berücksichtigt

Die Gesetzesreform sieht vor, dass die Auskunft aus dem Online-Register nur an einen Arzt oder Transplantationsbeauftragten erfolgen darf, der 1. „von einem Krankenhaus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auskunftsberechtigt benannt wurde“ und 2. „weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe und Gewebe des möglichen Organ- oder Gewebespenders beteiligt ist und auch nicht Weisungen eines Arztes untersteht, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist“ (TPG § 2a Absatz 4). Somit dürften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DGFG selbst keine Auskunft aus dem Register erhalten. Der Arzt oder Transplantationsbeauftragte darf zwar die Information an eine Gewebespendeeinrichtung weitergeben. Die DGFG befürchtet an dieser Stelle jedoch, dass die Bereitschaft zur Auskunft über die im Register hinterlegten Informationen zur Gewebespende bei den Ärzten schwindet. Es werden jedes Jahr weitaus mehr Gewebespenden als Organspenden realisiert. Ist an dieser Stelle der Prozess jedes Mal an die Verfügbarkeit eines Arztes oder Transplantationsbeauftragten zusätzlich gebunden, kostet dies Zeit und vermutlich auch den Erfolg der Gewebespende. Bereits über Jahre aufgebaute, erfolgreich etablierte Spendeprozesse werden in Folge ausgebremst. Die Reform führt dann zum kompletten Gegenteil: zum großen Hindernis insbesondere in der Gewebespende.

Aktuelle Reform gefährdet erfolgreiche Gewebespende und Patientenversorgung

Seit gut 15 Jahren wird die Gewebespende unabhängig von der Organspende in Deutschland realisiert. Am 1. August 2007 trat das sogenannte Gewebegesetz in Kraft: Das Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen wurde am 25. Mai 2007 vom Bundestag verabschiedet. Inzwischen führen in der DGFG, Deutschlands größter Gewebespendeeinrichtung, über 50 Koordinatorinnen und Koordinatoren zusammen mit sechs Ärztinnen und Ärzten täglich zahlreiche Gewebeentnahmen durch – mit Erfolg. Sie sind diejenigen, die innerhalb der vergangenen 15 Jahre über 29.000 Gewebespenden realisieren und damit nahezu 60.000 Patientinnen und Patienten mit Gewebetransplantaten helfen konnten. Täglich erhält die DGFG tausende Meldungen potentieller Spenderinnen und Spender, die stets gründlich auf ihre Eignung überprüft werden. Hierbei werden oft auch die zuletzt behandelnden Ärzte auf den Klinikstationen kontaktiert. Jede potentielle Spende beansprucht personelle Ressourcen, sowohl der Gewebespendeeinrichtung als auch der Klinik. Der zeitliche Druck ist gleichzeitig hoch. Herzklappen und Blutgefäße müssen binnen 36 Stunden, Augenhornhäute innerhalb von 72 Stunden ab Todeseintritt entnommen worden sein. Spricht aus medizinischer Sicht nichts gegen eine Spende kommt es zum entscheidenden Schritt: der Klärung, ob eine Entscheidung zur Gewebespende bereits vorliegt. Hier käme dann das künftige Online-Register ins Spiel. Nun droht der DGFG als Gewebespendeeinrichtung, fortan keine Auskunft über die dort dokumentierte Entscheidung zu erhalten. Aus diesem Grund bittet die DGFG den Gesetzgeber darum, die bereits in Kraft getretene Reform um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen als auskunftsberechtigte Personen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ebenfalls ernannt werden sollen, zu erweitern.

Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft  bei der Organspende ist noch lange nicht praxistauglich

Die DGFG ist mit ihrer Kritik an der Reform zur Organ- und Gewebespende nicht allein. In dem von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Beitrag vom 2. März 2022 wurde deutlich, dass auch an anderen Stellen im Gesetz Nachbesserungsbedarf besteht, um Recht und etablierte Praxis in Einklang zu bringen. Letztlich verfolgen alle Institutionen, Politikerinnen und Politiker das gleiche Ziel: die Organ- und Gewebespende zu verbessern mit einer Reform, die mehr Steine aus dem Weg räumt, statt sie hineinzulegen.

Das Gewebegesetz

Das Gewebegesetz setzt die EU-Richtlinie (EG-Geweberichtlinie 2004/23/EG) aus dem Jahr 2004 um, die europaweit einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Gewebeprodukte schaffen soll. Diese Standards betreffen die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen. Das Gewebegesetz wurde als Artikelgesetz über Änderungen insbesondere im Transplantationsgesetz (TPG) und Arzneimittelgesetz (AMG) umgesetzt. Ferner sind das Transfusionsgesetz (TFG) sowie die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und die Betriebsverordnung für Arzneimittelgroßhandelsbetriebe (AMGrHdlBetrV) betroffen.

Die DGFG

Die gemeinnützige Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) fördert seit 1997 die Gewebespende und -transplantation in Deutschland. Innerhalb der vergangenen 15 Jahre ist es der DGFG gelungen, die Patientenversorgung mit Gewebe wie Augenhornhäuten, Herzklappen, Blutgefäßen oder Amnionmembranen erheblich zu verbessern. Die Wartezeiten für ein Augenhornhauttransplantat konnten von bis zu einem Jahr auf nur wenige Wochen reduziert werden. Allein in 2021 hat die DGFG mithilfe der rund 2.900 realisierten Gewebespenden über 6.600 Patientinnen und Patienten mit Gewebe zeitnah und sicher versorgt. Von 1997 bis 2007 organisierte die DGFG noch als Tochtergesellschaft der DSO (als sogenannte DSO-G) die Gewebespende. 2007 kam es mit Inkrafttreten des Gewebegesetztes zur räumlichen und rechtlichen Trennung von der DSO und zur Gründung der DGFG. Seitdem realisiert die DGFG eigenständig und unabhängig die Gewebespende. Die Basis bildet das freiwillige Engagement der Kliniken, die sich über die Jahre dem Netzwerk angeschlossen haben und der DGFG potentielle Gewebespenderinnen und -spender melden.

Auf Basis des Gewebegesetzes von 2007 sind alle Tätigkeiten und Ablaufprozesse der Gewebespende gesetzlich geregelt. Für alle Gewebezubereitungen gilt das Handelsverbot. Die DGFG vermittelt ihre Transplantate über eine zentrale Vermittlungsstelle mit einer bundesweiten Warteliste. Jede medizinische Einrichtung in Deutschland kann Gewebe von der DGFG beziehen. Als unabhängige, gemeinnützige Gesellschaft wird die DGFG ausschließlich von öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens getragen: Gesellschafter sind das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, das Universitätsklinikum Leipzig, die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitätsmedizin Rostock sowie das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg. Die DGFG ist in ihrer Aufbaustruktur, der Freiwilligkeit der Unterstützung durch die Netzwerkpartner und ihrer Unabhängigkeit von privaten oder kommerziellen Interessen einzigartig in Deutschland.

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Foto zur freien Nutzung unter der Quellenangabe: Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG)

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